Eine defekte Herzklappe wird wieder dicht

Immer mehr Herzen werden heute mittels Schlüssellochtechnik operiert. So auch in der Herzchirurgie des Stadtspitals Zürich Triemli. Chefarzt Omer Dzemali repariert eine fehlerhafte Mitralklappe durch einen nur wenige Zentimeter langen Schnitt zwischen den Rippen. Mit grossem Geschick und viel Technologie.

Aktualisiert am 29. Januar 2024
Prof Dzemali DSC4226 bearbeitet

Im Triemli hat man fast in jedem Raum eine grandiose Aussicht. Auch in den Operationssälen: Hinter der grossen Fensterfront liegt einem ganz Zürich zu Füssen. Fast geht vergessen, dass die Reise uns heute nicht in die Ferne führt, sondern ins tiefe Innere eines Körpers. Marcel Flütsch, der Patient, liegt bereits in Vollnarkose und am Beatmungsgerät in der Saalmitte. Seine undichte Herzklappe wird in den nächsten Stunden repariert.

Dabei kommt die sogenannte Schlüssellochtechnik zum Einsatz. «Diese Operationstechnik ist aufgrund der kleinen Schnitte für den Patienten viel schonender», erklärt der Chefarzt der Herzchirurgie, Prof. Omer Dzemali, vor dem Eingriff. Er wird die Klappenrekonstruktion durchführen.

Der 47-jährige Marcel Flütsch ist Lastwagen- und Car-Chauffeur. Bei ihm hatte man anlässlich der periodischen Gesundheitsprüfung ein Herzgeräusch festgestellt. Dabei stellte sich heraus, dass seine Mitralklappe undicht war. Die Mitralklappe ist eine der vier Herzklappen, sie liegt im Inneren des Herzens zwischen dem linken Vorhof und der Herzkammer. Ihre Aufgabe ist einfach, aber wichtig: Sie muss dafür sorgen, dass das Blut beim Pumpen von der Herzkammer nicht wieder in den Vorhof zurückfliesst, ähnlich wie ein Rückschlagventil.

Schliessen die beiden Klappensegel nicht mehr richtig, spricht man von einer Mitralklappeninsuffizienz. In der Folge fliesst beim Pumpen das Blut einerseits zurück in den Vorhof. Andererseits wird zu wenig Blut in den Körper ausgeworfen.

Zugang zum Herzen vorbereiten
Dass bei Marcel Flütsch das Blut bei jedem Herzschlag von der Kammer in den Vorhof zurückfliesst, sieht man deutlich auf dem Herzultraschall im Operationssaal. Es ist acht Uhr morgens und die Operateure machen sich an die Arbeit. «Sind alle parat?», fragt einer der beiden Assistenzärzte, Stak Dushaj, bevor er loslegt. Bei der Schlüssellochtechnik wird nicht wie früher üblich das Brustbein aufgesägt, operiert wird also nicht am offenen Herzen.

Der Zugang erfolgt zwischen zwei Rippen des rechten Brustkastens. Die Wunde ist nur wenige Zentimeter lang und hinterlässt keine grosse Narbe. Damit der Weg zum Herzen frei ist, wird zuerst der rechte Lungenflügel kollabiert, das heisst, zusammengefaltet. Dann schneiden die Assistenzärzte mit einem Elektromesser die Haut auf und spreizen die beiden Rippen. Es riecht unangenehm nach Verbranntem.

Eine Herzoperation ist immer noch ein solides Handwerk, gleichzeitig jedoch ein Grosseinsatz der Technologie. Maschinen, Bildschirme, Schläuche und Kabel umzingeln Marcel Flütsch. Sein Herz wird später, wenn es von Omer Dzemali aufgeschnitten wird, nicht mehr schlagen. Deshalb muss der Patient an eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen werden, die während dieser Zeit die Funktion von Herz und Lunge übernimmt. Eine Kanüle in der Leiste zapft ihm das Blut ab und führt es in die Maschine. Dort wird die Temperatur reguliert und Sauerstoff hinzugefügt. Die Assistenzärzte bringen die zweite Kanüle, die das sauerstoffreiche Blut von der Maschine in den Körper zurückführt, in der Aorta über dem Herzen an. «Durch diese Kanülen fliessen bald fünf Liter Blut pro Minute», erklärt der Narkosearzt Andreas Rist, «das muss also gut halten.» Eine im Körperinnern installierte Minikamera filmt das Herz. Auf zwei riesigen, hochauflösenden Bildschirmen sieht man es noch kräftig schlagen.

Die Schlüssellochtechnik verändert das Operieren komplett: Das Loch zwischen den Rippen ist noch knapp so gross wie ein Ei. Verglichen mit der Operation am offenen Herzen sieht der Operateur die Innenwelt weniger umfassend. Die anderen im Team sehen gar nichts. Sie müssen alles auf den Bildschirmen nachverfolgen.

Reparatur durchs «Schlüsselloch»
«Guten Morgen allerseits», ertönt es nach fast zwei Stunden Vorbereitung am Eingang des Saals. Omer Dzemali taucht gut gelaunt auf. Kerstin Hasler, die technische Operationsfachfrau, packt ihn in sterile Kleidung ein. Sie kennt jeden Handgriff des Herzchirurgen auswendig und wird ihn die nächsten anderthalb Stunden Schritt für Schritt unterstützen. Der grosse Moment naht. Ein Medikament bringt das Herz von Marcel Flütsch zum Stillstand, das regelmässige Piepsen aus dem Überwachungsmonitor verstummt.

Die Aorta wird abgeklemmt und Omer Dzemali blickt mit der Lupenbrille konzentriert durch das kleine Loch auf der rechten Körperseite. Durch diese Pforte schiebt er behutsam seine langen Instrumente. Als Erstes schneidet er die Wand des Vorhofs auf. Auf den Bildschirmen taucht eine blütenweisse Mitralklappe auf. Omer Dzemali untersucht die Klappe, der gerissene Sehnenfaden des einen Segels ist deutlich sichtbar.

Eine defekte Mitralklappe will man, wenn möglich, immer mit körpereigenem Gewebe rekonstruieren. Im Gegensatz zu einer Klappenprothese hat dies unter anderem den Vorteil, dass die meisten Patient*innen nicht dauerhaft Blutverdünner einnehmen müssen. Damit die defekte Klappe wieder dicht wird, näht Omer Dzemali zunächst einen neuen Klappenring ein. Eine geduldige Präzisionsarbeit. Elf Fäden bringt er mit einer Nadel am Rand der Mitralklappe an. Auf diesen Fäden wird der Ring aufgezogen, an die richtige Stelle im Herzen vorgeschoben und am Schluss mit einem Gerät, das die Form einer Pistole mit extralangem Lauf hat, festgeknüpft. Anschliessend schneidet der Herzchirurg Teile der Klappensegel weg und näht andere Stellen zusammen.

Ob die Segel auch eng genug sind und dicht schliessen, erweist sich allerdings erst dann, wenn das Herz wieder schlägt. In der hochkonzentrierten Atmosphäre flammt plötzlich eine kurze Diskussion über Fussball und die Weltmeisterschaft auf. Omer Dzemali erklärt später, dass die Anspannung in gewissen Momenten so gross sei, dass er die Stimmung etwas auflockern müsse. Dies helfe, Fehler zu vermeiden.

Das Herz erwacht
Die Herzklappe ist nun repariert. Als Nächstes wird noch die Herzrhythmusstörung behandelt, die bei einer Mitralklappeninsuffizienz oft vorkommt. Nach der Verödung der Lungenvenen erhält das Herz von Marcel Flütsch noch einen Clip, der das Vorhofsohr verschliesst. Der Verschluss verhindert, dass sich in dieser Einbuchtung gefährliche Gerinnsel bilden. Omer Dzemali näht schliesslich den Vorhof zusammen.

Schon bald muss die Pumpe ihre Arbeit aufnehmen, die Spannung steigt nochmals an. «So, wir lassen das Herz nun langsam erwachen», sagt der Herzchirurg. Die Aortenklemme wird entfernt. Das Herz füllt sich mit Blut und beginnt zu schlagen, das Piepsen des Monitors ertönt wieder. Ein temporärer Schrittmacher taktet die Herzmuskeln auf 80 Schläge pro Minute. Ungeduldig blicken alle auf den Bildschirm des Ultraschalls.

Die Erleichterung ist spürbar. «Wir haben unser Ziel erreicht», sagt Omer Dzemali mit kräftiger Stimme, «die Klappe schliesst, das Resultat ist bei diesem jungen Mann perfekt.» Er schüttelt mit seinen blauen Gummihandschuhen allen die Hand und bedankt sich. Es ist unterdessen kurz nach elf, Marcel Flütsch ist bereits von der Herz-Lungen-Maschine genommen worden. «So, ich rufe jetzt noch die Familie an. Vorher geht der Operateur bei uns nicht aus dem Saal», erklärt er. Der Chefarzt streift die OP-Kleidung ab und begibt sich mit seinem Mobiltelefon in eine ruhige Ecke.

In einer Woche in der Reha
Seine Arbeit ist nun erledigt. Für das Team geht sie weiter. Im Operationssaal ist es merklich geschäftiger. Die Instrumente werden durchgezählt und Vasileios Ntinopoulos, der zweite Assistenzarzt, näht die Wunde zu. Während im Saal Geräte abgeräumt und Material entsorgt wird, werden die Wunden versorgt. Schläuche werden entfernt und Marcel Flütsch erwacht langsam aus seiner Narkose. Es ist nun genau Mittag, das Pflegepersonal schiebt ihn auf die Intensivstation. Am nächsten Tag wird er bereits auf der Station liegen und in einer Woche in der Rehaklinik. Der Saal wirkt plötzlich leer und verlassen. Hinter der grossen Fensterfront schieben sich die Regenwolken zurück und erste Sonnenstrahlen bringen die Stadt zum Leuchten.

Herzoperationen – Trend zum Schlüsselloch

Am Stadtspital Zürich Triemli wurden 2021 insgesamt 1253 Herzoperationen durchgeführt. Am häufigsten waren dies Aorten- und Mitralklappenoperationen, Bypass-Operationen und Eingriffe an der Aorta im Brustraum. Die Rekonstruktion einer defekten Mitralklappe erfolgt hier ausschliesslich per Schlüssellochtechnik.

Schlüssellochtechnik – relativ junges Verfahren
Die Schlüssellochtechnik zählt zu den minimal-invasiven Operationen. Sie ist für den Körper schonender und trägt dazu bei, dass Patient*innen sich schneller vom Eingriff erholen und wieder in den Alltag zurückkehren. Diese Technik wurde in der Herzchirurgie des Stadtspitals Zürich Triemli 2009 das erste Mal eingesetzt. 2013 wurde erstmals mit der lateralen Thorakotomie operiert, also seitlich durch den Brustkorb hindurch, wie im Bericht beschrieben. Neben der Reparatur der Mitralklappe wird die Schlüssellochtechnik auch bei Aortenklappen sowie bei gewissen angeborenen und erworbenen Herzkrankheiten eingesetzt, zunehmend auch bei Bypass-Operationen.

Mitralklappe per Operation oder Katheter?
Für die Behandlung einer erkrankten Mitralklappe stehen je nach Erkrankung unterschiedliche Eingriffe zur Verfügung. Wie erwähnt wird sie meist chirurgisch mittels Schlüssellochtechnik repariert. Deutlich seltener, wenn eine Rekonstruktion nicht möglich ist, erfolgt ein Herzklappenersatz in einer klassischen Herzoperation. Neben den chirurgischen Eingriffen gibt es auch katheterbasierte: Über die Leistenarterie wird unter anderem ein Mitraclip, eine Art Klammer, in der Mitralklappe befestigt. Der Clip hält die Segel der Klappe zusammen, damit sie wieder gut schliessen. Dieser Eingriff erfolgt in Narkose, aber am schlagenden Herzen.