Nach 45 Minuten eine neue Herzklappe

Aortenklappen können heute per Katheter ersetzt werden. Dies ist eine der grossen Erfolgsgeschichten der Kardiologie. Wie eine solche Klappe eingesetzt wird, haben wir uns bei Prof. Raban Jeger am Stadtspital Zürich Triemli angeschaut.

Aktualisiert am 29. Januar 2024
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Dienstag ist Herzklappen-Tag in der Kardiologie des Stadtspitals Zürich Triemli. Chefarzt Prof. Raban Jeger und sein Team setzen vier Patient*innen eine neue Aortenklappe ein. Nicht chirurgisch, sondern per Katheter. Daher nennt man dies TAVI, Transkatheter-Aortenklappenimplantation. Der Eingriff dauert weniger als eine Stunde und die erkrankte Klappe wird durch eine neue, voll funktionsfähige ersetzt.

Rosa Kellenberger (Name geändert) ist die Erste am heutigen Morgen. Die 84-jährige Patientin klagte über eine zunehmende Atemnot bei alltäglichen Aktivitäten wie zum Beispiel beim Treppensteigen. Die Untersuchungen hatten ergeben, dass ihre Aortenklappe, eine der vier Herzklappen, verkalkt und verengt war. Dadurch gelangte nicht mehr ausreichend Blut in den Körper und das Herz musste zu stark pumpen. «Wenn die Verengung weiter fortschreitet, kann es zu Ohnmachtsanfällen kommen», erklärt Prof. Jeger. Das gesamte Organ leidet darunter, es kann sich gar eine Herzschwäche entwickeln. Deshalb soll die Klappe nun durch eine künstliche ersetzt werden.

Eine medizinische Sensation
Der erste erfolgreiche chirurgische Aortenklappen-Ersatz fand 1960 in Boston statt. Die Operation am offenen Herzen ist noch heute der Standardeingriff. Dazu braucht es eine Vollnarkose, das Brustbein wird aufgesägt, eine Herz-Lungen-Maschine angeschlossen, damit das Herz stillgelegt werden kann. Diese Operation ist in gewissen Fällen notwendig und hat Vorteile, besonders für jüngere Patient*innen. Für ältere Menschen und solche mit einer Vorerkrankung kann sie sehr belastend oder gar zu risikoreich sein. Dies änderte sich 2002 durch eine medizinische Sensation: Der französische Kardiologe Alain Cribier implantierte erstmals eine künstliche Aortenklappe per Katheter am schlagenden Herzen. Seitdem zählt die TAVI zur Erfolgsgeschichte der Kardiologie.

Rosa Kellenberger liegt bereits im Katheterlabor, also dort, wo auch den Herzinfarktpatient*innen Stents eingesetzt werden. Der Vorgang bei der TAVI ist ähnlich: Über die Leistenarterie schiebt Raban Jeger einen Katheter bis zum Herzen vor, im Katheter wird die neue Klappe transportiert. Die Patientin bleibt die ganze Zeit wach und ansprechbar, sie braucht also keine Narkose. Während Jeger mit dem assistierenden Arzt den Zugang für die Implantation vorbereitet, wird auf einem Tisch dahinter die neue Klappe bereitgestellt. Sie ist der kleine Star an diesem Morgen. Das Drahtgerüst mit den drei Taschen befindet sich in einem durchsichtigen Kunststoffbehälter. Die Taschen bestehen aus Herzgewebe von Schweinen, daher schwimmt die Klappe in einer konservierenden Flüssigkeit. Noch ist sie ein paar Zentimeter breit. Damit sie in den viel schmäleren Katheter passt, wird sie nun ausgepackt und zusammengefaltet. Crimpen nennt man den Vorgang, den nur ausgebildete Personen mit speziellen Geräten vornehmen können. Nach 20 Minuten ist alles für den Einsatz parat.

Kurzer, präziser Eingriff
Im Gegensatz zur Herzklappen-Operation wird bei der TAVI die eigene kranke Klappe nicht entfernt. Man setzt die neue innerhalb der alten ein und drückt diese an die Gefässwand. Als Raban Jeger 2007 erstmals eine solche Klappe bei nicht operierbaren Patient*innen einsetzte, war die Aufregung und Unsicherheit noch gross. «Wir fischten damals etwas im Trüben», erinnert er sich. Seitdem hat sich vieles verbessert. Die Eingriffe sind kürzer und genauer als damals. Die TAVI hat ein mit der herkömmlichen Operation vergleichbares Komplikationsrisiko. Allerdings ist bei gewissen Patient*innen danach eine Herzschrittmacherimplantation nötig, wenn beim Einsetzen der Klappe Leitungsbahnen für die elektrische Aktivität des Herzens verletzt worden sind.

Nachdem Raban Jeger die kranke Herzklappe von Rosa Kellenberger mit einem Ballon aufgedehnt hat, setzt er die neue ein. Sie entfaltet sich von allein und hakt sich in der alten fest. Das Wichtigste ist jetzt erledigt. Schliesslich prüfen Jeger und sein Team, ob alles sitzt und dicht ist. Der Katheter wird zurückgezogen, der Schnitt in der Leistenarterie zugenäht – nach einer Dreiviertelstunde ist der Eingriff abgeschlossen. Etwa die Hälfte aller Aortenklappen wird heute in der Schweiz so eingesetzt, die Tendenz ist steigend. Eine TAVI ist allerdings teurer als der chirurgische Klappenersatz, weshalb sie vorerst Patient*innen mit einem erhöhten Operationsrisiko erhalten.

Rosa Kellenberger wird jetzt auf die Überwachungsstation gefahren. Sie bleibt bis Freitagmorgen im Spital. Treten während der Nachbeobachtung keine grossen Probleme auf, kann sie nach Hause. Eine Rehabilitation braucht sie nicht. «Ihr Herz ist in Ordnung. Es hüpft wieder wie das von einem jungen Rössli», scherzt Raban Jeger, bevor die Patientin das Katheterlabor verlässt. Die fitte ältere Frau wird bereits am Freitag ihre Treppe wieder wie früher emporsteigen können.

Welche Klappeneingriffe gibt es?

Heute kann jede der vier Herzklappen repariert oder ersetzt werden. Die häufigsten Eingriffe finden jedoch an der Aorten- und Mitralklappe statt. Je nach Herzklappe, Erkrankung und Gesundheitszustand der Patient*innen sind folgende Eingriffe vorgesehen:

  • Klappenrekonstruktion: Bei diesem Eingriff wird keine neue Klappe eingesetzt, sondern die erkrankte repariert. Zum Beispiel indem man die losen Segel der undichten Mitralklappe in Form bringt, damit sie wieder gut schliessen. Eine Rekonstruktion kann chirurgisch oder per Katheter erfolgen.
  • Chirurgischer Klappenersatz: Mit diesen Eingriffen hat die Herzchirurgie mittlerweile über 50 Jahre Erfahrung. Die kranke Klappe wird entfernt und durch eine neue ersetzt. Dazu braucht es eine grössere Operation, bei der meist das Brustbein aufgeschnitten und das Herz stillgelegt wird. Mittlerweile kommen auch Eingriffe mit kleineren Schnitten, z.B. zwischen den Rippenbögen, zum Einsatz. Die Klappenprothese ist entweder mechanisch oder biologisch. Die mechanische hält sehr lange, benötigt jedoch eine lebenslange Blutverdünnung. Die biologische benötigt keine starke Blutverdünnung, muss aber nach 10 bis 15 Jahren ersetzt werden.
  • Interventioneller Klappenersatz: Die neue Herzklappe wird per Katheter über die Leistengefässe eingeführt. Eine grössere Operation mit Narkose ist nicht nötig. Solche Eingriffe werden von interventionellen Kardiolog*innen am schlagenden Herzen durchgeführt. Am häufigsten geschieht dies bei der Aortenklappe, der Eingriff heisst TAVI. Aber auch die Mitral- und Trikuspidalklappe können mit einem ähnlichen Verfahren ersetzt werden. Die Klappen sind biologisch und müssen nach etwa 10 Jahren ausgetauscht werden. Weil es sich um neuere Verfahren handelt, fehlen dazu noch Langzeitdaten.