Bei Frauen ist der Herzinfarkt anders

Lange galt der Herzinfarkt als Männerkrankheit. Mittler­weile weiss man: Für Frauen ist er gar noch gefährlicher. Ausserdem erleiden sie häufiger als Männer einen Infarkt, bei dem die Herzkranzarterien nicht wie üblich verschlossen sind.

Aktualisiert am 29. Januar 2024
Herzinfarkt frauen distraught woman bearb

Sybille Widmer klagte vor zwei Jahren über starke Schmerzen im linken Arm und im Rücken. Beim Hausarzt vermutete man, sie habe ein Problem mit dem ­Nackenwirbel. Man verabreichte ihr Schmerzmittel. Dass die damals 43-jährige Thurgauerin einen Herz­infarkt haben könnte, daran dachte lange niemand. Bis es zur Diagnose und zum Eingriff kam, vergingen sechs wertvolle Stunden.

Die bedauerliche Verzögerung ist womöglich kein Zufall. Denn bei Frauen wird der Herzinfarkt im Durchschnitt später behandelt als bei Männern. «Viele Frauen kommen nicht auf die Idee, dass sie einen Herzinfarkt haben könnten», sagt Prof. Barbara Stähli, ­Kardiologin am Universitätsspital Zürich. Einerseits herrscht noch immer das Klischee, dass der Herz­infarkt vor allem Männer betrifft. Andererseits sind die akuten Symptome bei Frauen oft unklarer: Während Männer meist den heftigen Schmerz in der Brust und im linken Arm spüren, erleben Frauen unter Umständen nur Oberbauchschmerzen, verbunden mit Übelkeit oder Erbrechen, Rückenschmerzen, Atemnot, Schweissausbrüche oder eine starke körperliche Abgeschlagenheit. «Hat man als Frau solche Symptome und diese so noch nie erlebt, sollte man auch an einen Herzinfarkt denken», sagt die Kardiologin Barbara Stähli.

Verzögerte Behandlung, mehr Komplikationen
Eine häufig falsche Reaktion ist: sich erst einmal hin­legen und hoffen, dass die Beschwerden besser werden. Auch Fachpersonen sind bei solchen Symptomen nicht gleich alarmiert. Dies ist einer der Gründe, ­weshalb Frauen häufiger an einem Herzinfarkt sterben, obwohl sie seltener als Männer einen erleiden. Ein weiterer ist, dass Frauen den Herzinfarkt durchschnittlich zehn Jahre später bekommen als Männer und ­aufgrund des fortgeschrittenen Alters häufiger zusätzliche Erkrankungen vorliegen. Dazu kommt, dass ­neben dem höheren Alter und der verzögerten Behandlung bei Frauen Krankheiten oftmals weniger gut ­erforscht sind. Der Aufbau des Körpers und seine Funk­tionsweise sind bei Frauen teils anders, beispielsweise sind die Gefässe kleiner. Dies führt unter anderem zu mehr Blutungen und Komplikationen beim Zugang zu den Herzgefässen. Der Herzinfarkt ist für Frauen also auch sehr gefährlich.

Herzinfarkt ohne Verengungen
In den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, dass vor allem Frauen öfter einen Herzinfarkt bei nicht verengten Herzkranzgefässen, einen sogenannten MINOCA (myocardial infarction with non-obstructive coronary arteries), erleiden. Diese Form des Infarktes kann man auch nicht wie üblich mit einem Stent oder einer Bypassoperation behandeln. Etwa zehn Prozent der akuten Herzinfarkte zeigen im Katheterlabor keine relevanten arteriosklerotischen Verengungen. «Dies bedeutet, dass wir nach der Herzkatheteruntersuchung weiter nach der Ursache suchen müssen», sagt Prof. Barbara Stähli. Möglich ist ein Takotsubo-Syndrom. Eine Durchblutungs­störung des Herzens können auch Krämpfe der Herzkranzgefässe oder eine gestörte Blutzirkulation in den kleinen Arterien herbeiführen. Eine weitere Gefahr fürs Herz sind Dissektionen. Darunter versteht man ­einen Riss in der innersten Schicht der Gefässwand. Durch den Einriss dringt Blut in die Gefässwand ein, wodurch die ­Dicke der Gefässwand zunimmt und sich dadurch der Innendurchmesser der Arterie verkleinert. Eine Dis­sektion in den Herzkranzgefässen ist ein sehr bedrohliches Ereignis, das tendenziell jüngere Frauen trifft. Noch ist unklar, weshalb diese Ereignisse bei Frauen gehäuft auftreten und wie man sie optimal behandeln könnte.

Mehr Frauen in der Forschung berücksichtigen
Sind es die weiblichen Hormone, Entzündungsreak­tionen, der neuronale Stress? Bei vielen Herz-Kreislauf-Krankheiten weiss man noch immer nicht, weshalb sie sich bei Frauen anders entwickeln als bei Männern und ob eine frauenspezifische Behandlung erforderlich ist. «70 bis 80 Prozent der Studienteilnehmer*innen sind nach wie vor männlichen Geschlechts», sagt Prof. Barbara Stähli. «Die Ergebnisse gelten dann auch für Frauen, obwohl wir nicht wissen, ob dies zutrifft.» Deshalb müsse man die Eigenheiten von Frauenherzen nicht nur in der Diagnose und Behandlung, sondern auch in der Forschung stärker berücksichtigen, so die Kardiologin.

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