Plötzlich war das Herz erschöpft

Michaela Fässler fiel aus allen Wolken, als sie einen Herzinfarkt erlitt. Was sie noch mehr verblüffte: Die Ursache war ein seltenes Takotsubo-Syndrom, eine stressbedingte Herzmuskelerkrankung.

Aktualisiert am 29. Januar 2024
Michaela Faessler rgb nb web

Oft sieht man die Dinge erst aus der Rückschau klar. «Meine Gesundheitsprobleme haben sich bereits seit Längerem abgezeichnet», beginnt Michaela Fässler zu erzählen, «aber wahrgenommen habe ich das nicht.» Die Pflegefachfrau ist gut informiert, bildet junge Menschen zu Fachpersonen Gesundheit aus und glaubte, ihren Körper zu kennen. Letzteres war eine Fehleinschätzung. «Schon in den Monaten vor dem Ereignis hatte ich grosse Mühe beim Wandern», sagt die 59-Jährige, «aber ich dachte, ich bin einfach nicht fit.»

Infarkt oder nicht?
Im Februar dieses Jahres erlebte sie Symptome, die klar auf einen Herzinfarkt hindeuteten: einen starken Druck und ein heftiges Klemmen in der Brust, das ins Gesicht ausstrahlte. Mit jedem Treppentritt war der Schmerz deutlich zu spüren, die Zähne und Kiefer ­fühlten sich taub an und kribbelten. Dennoch ging sie wie immer in ihre Schule zur Arbeit. Als später am Morgen im Notfall des nahegelegenen Spitals die Worte «möglicher Herzinfarkt» fielen, war sie sprachlos. Nie im Leben hätte sie daran gedacht.

Die anschliessende Katheteruntersuchung zeigte keine Ablagerungen in den Herzkranzgefässen, man entliess sie wieder aus dem Spital. Michaela Fässler war zunächst erleichtert. Doch verbessert hatte sich ihr Zustand nicht. Im Gegenteil, zu Hause wurden die Schmerzen immer schlimmer und sie sagte sich, so gehe es nicht weiter. Ihr Partner brachte sie in den Notfall nach Solothurn und dort sah man sofort, dass die Troponin-Werte, die auf einen Herzinfarkt hinweisen, sehr hoch waren.

Ein Team aus drei jungen Kardiologinnen bemühte sich, herauszufinden, was mit Michaela Fässler los war. «Ich war beeindruckt, wie die neue Generation Ärztinnen ehrgeizig nach der Ursache suchte», erzählt ­Michaela Fässler, «sie nahmen mich ernst und darüber bin ich heute noch froh.»

Stress fürs Organ
Im Herzultraschall war deutlich zu erkennen: Die linke Kammer verengt sich nicht wie üblich zu einer Spitze, sondern war aufgebläht, wie ein japanisches Tongefäss. Die Diagnose stand fest, es handelte sich um eine ­Takotsubo-Kardiomyopathie, eine stressbedingte Herzmuskelerkrankung. «Als ich auf dem Bildschirm mein Herz nicht mehr richtig schlagen sah, machte mir das richtig Angst», sagt Michaela Fässler rückblickend. Das Bild bringe sie noch heute nicht aus ihrem Kopf.

Die darauffolgenden Tage waren kritisch. Denn dann hätten schwere Komplikationen auftreten können, wie zu Beispiel bedrohliche Herzrhythmusstörungen. Michaela Fässler war eine Woche im Spital, bis sich alle Werte normalisierten und das Herz sich wieder einigermassen erholte.

Neue Freuden im Leben finden
Doch was hat es so gestresst? Typischerweise gelten starke Emotionen als Auslöser dieser Erkrankung. Für Michaela Fässler ist heute vieles erklärbar: Ihre beiden Eltern verstarben innert kürzester Zeit, was für sie ­einen grossen Einschnitt bedeutete. Die Reaktion darauf war, noch härter zu arbeiten. Vor zwei Jahren ­begann sie mit einer Doktorarbeit in den Erziehungswissenschaften. Jede freie Minute schrieb sie daran. Als sie im letzten Winter ihre ersten hundert Seiten präsentierte, erlebte sie eine herbe Enttäuschung. Die ­beiden Betreuerinnen liessen sie im Regen stehen. Auf der Rückreise nach Hause wusste sie, an der Doktor­arbeit würde sie nicht mehr weiterarbeiten. Der geplatzte Traum hat ihr buchstäblich das Herz gebrochen.

Der Herzinfarkt zwingt Michaela Fässler zu einer Neuorientierung. Ihre grosse Leistungsbereitschaft hinterfragt sie heute. Sie lernt, mit dem Stress besser umzugehen und auch mal Nein zu sagen. «Das betrifft Muster, die tief in mir verankert sind», sagt sie. Sogar das viermonatige Reha-Programm wollte Michaela Fässler am Abend machen, damit sie am Tag in der Schule wieder vollen Einsatz zeigen konnte. Daraufhin wurde der Reha-Arzt sehr deutlich: «Ich bitte Sie, Frau ­Fässler, Sie hätten sterben können. Geben Sie Ihrem Herzen die nötige Ruhe!»

Die Auszeit hat sich gelohnt. Michaela Fässler hat erkannt, dass es neben der Arbeit noch anderes gibt, was ihr Freude macht. In ihrem Garten scharren seit ein paar Wochen vier Hühner und zu Hause im Büro steht neben dem Computer auch ein Cello.

Takotsubo – das gebrochene Herz

Das Takotsubo-Syndrom heisst auch «Broken-Heart-Syndrom», weil oft starke Emotionen die Krankheit auslösen. Obwohl das Takotsubo-Syndrom einem Herzinfarkt ähnelt, sind keine Herzgefässe verschlossen. Die linke Herzkammer pumpt nicht mehr richtig und nimmt die typische Form eines japanischen Tonkruges an, daher der Name. Die Ursache für diese plötzliche Herzmuskelschwäche ist noch nicht geklärt. 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen nach der Menopause. In der Akutphase ist die Sterblichkeit ähnlich hoch wie bei einem Herzinfarkt. Danach erholen sich die meisten Betroffenen wieder. Das weltweit grösste Register zur Erforschung des Takotsubo-­Syndroms wurde 2011 an der Universität Zürich eingerichtet.

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