«Wir müssen andere Organe miteinbeziehen»

Die Kardiologin Cathérine Gebhard forscht in der Gendermedizin. Sie will herausfinden, weshalb Männer- und Frauenherzen unterschiedlich erkranken. Dabei blickt sie nicht nur aufs Herz, sondern auch aufs Gehirn.

Aktualisiert am 29. Januar 2024
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Prof. ­Cathérine ­Gebhard arbeitet und forscht als ­Kardiologin in Bern und Zürich. Als ­Gendermedizinerin untersucht sie, ­welche Auswirkungen das biologische und soziokulturelle Geschlecht auf Herz-Kreislauf-Krankheiten haben.

Weshalb lohnt es sich, die Unterschiede zwischen Frauen- und Männerherzen zu untersuchen?
Prof. Cathérine Gebhard: Weil man so frühzeitig Erkrankungen erkennt, die sich bei Frauen anders herausbilden als bei Männern. Mit einer geschlechtsspezifischen, vorbeugenden Behandlung können wir gefährliche Ereignisse verhindern.

Wie muss man sich eine solche Behandlung vorstellen?
Frauen zum Beispiel erleben zunehmend mehr Stress und reagieren darauf öfter mit Durchblutungs­störungen am Herzen als Männer. Wir wollen nun herausfinden, was der Auslöser solcher Geschlechterunterschiede ist und wie wir diesen Prozess unterbrechen können.

Das Nervensystem und das ­Gehirn spielen demnach auch eine Rolle?
Genau. In unserer Studie am Universitätsspital Zürich untersuchen wir die Gehirn-Herz-Achse. Wir haben beobachtet, dass die Amygdala, das Angstzentrum im Gehirn, bei Frauen nach einem Herzinfarkt chronisch aktiv ist. Wir versuchen nun zu ermitteln, welcher Mechanismus das Angstzentrum aufrechterhält. Besonders in der Gender­medizin müssen wir uns aus der Kardiologie herausbewegen und andere Organe und andere Disziplinen miteinbeziehen.

Wann wurde Ihnen erstmals ­bewusst, dass Frauenherzen ­anders schlagen als die der Männer?
Als Assistenzärztin am Universitäts­spital Zürich. Im Ultraschall-­Labor entdeckten wir, dass das weibliche Herz im Alter eher kleiner wird und stärker pumpt. Das männliche hingegen wird eher grösser und behäbiger. Das hatte bislang niemand berücksichtigt.

Profitieren auch Männer von der Gendermedizin?
Ja, natürlich. Auch Männer können aufgrund von Stress einen Herz­infarkt erleiden. Das sahen wir in einer Studie aus Kanada. In den ersten beiden Tagen nach einem Eishockey-Spiel stieg die Herz­infarktrate bei den männlichen ­Zuschauern, nicht jedoch den weiblichen, an. Wenn wir den Mechanismus erkennen, der die ­Herzen stresst, kommt das Wissen auch Männern zugute.