Frauenherzen sind im Alter verletzlicher

Frauen sterben häufiger an einem Herzinfarkt als Männer. Die Gründe dafür sind vielfältig, das Wissen darüber noch gering. Eine wichtige Rolle spielen Veränderungen am alternden Frauenherzen. Diese möchte Prof. Catherine Gebhard vom Universitätsspital Zürich nun genauer erforschen.

Aktualisiert am 29. Januar 2024
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Der Mythos, dass der Herzinfarkt vor allem ein Männerproblem ist, hält sich hartnäckig. Die Realität sieht anders aus.
Prof. Catherine Gebhard:
Das ist tatsächlich so. Eine landesweite Studie aus Frankreich hat kürzlich gezeigt, dass die Zahl der Herzinfarkte bei Frauen, insbesondere bei jüngeren Frauen, in den letzten 10 Jahren angestiegen ist. Bei den Männern hingegen wurde ein gegensätzlicher Trend beobachtet. Was aber noch viel beunruhigender ist: Der Anteil der Frauen, der an einem Herzinfarkt stirbt, ist höher als derjenige der Männer. In Europa liegt die Herz-Kreislauf-Mortalität der Frauen momentan bei 49 Prozent, bei Männern bei 40 Prozent. In der Schweiz sind die Zahlen tiefer, der Trend ist jedoch der gleiche.

Hat dieser Mythos in der Vergangenheit auch die kardiologische Forschung beeinflusst?
Wenn Sie eines unserer wichtigsten Lehrbücher im Medizin-Studium, den Anatomie-Atlas von Frank Netter, durchblättern, finden Sie auf den ersten Seiten einen Mann, der sich im Schneesturm an die Brust fasst. Das ist das Bild, welches die Studierenden vom Herzinfarkt vermittelt bekommen. Herzinfarkt gleich Männerkrankheit. Die Frauen wurden sowohl in der Lehre als auch in der Forschung kaum berücksichtigt. Die Folge ist, dass wir sowohl in der Forschung wie auch im klinischen Alltag eine riesige Wissenslücke haben.

Vom Fortschritt in der Kardiologie scheinen also nicht beide Geschlechter gleich zu profitieren.
Zunächst: Auch die Frauen haben vom Fortschritt profitiert, der Herzinfarkt wird auch bei ihnen rascher behandelt und die Sterblichkeit ist gesunken. Aber bei den Männern eben viel stärker. Dies gilt übrigens auch für andere kardiovaskuläre Erkrankungen wie den Hirnschlag.

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Die Zahl der Herzinfarkte steigt bei Frauen an – immer jüngere sind betroffen.

Hat sich in den letzten Jahrzehnten der Lebensstil der Frauen nicht einfach demjenigen der Männer angeglichen?
Für die erwähnte Entwicklung sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Wir haben bislang gedacht, dass Frauen aufgrund der Östrogene zumindest bis zur Menopause geschützt sind. Studien haben jedoch kürzlich gezeigt, dass immer mehr jüngere Frauen einen Herzinfarkt erleiden. Hinzu kommt, dass gerade jüngere Frauen öfter an einem Herzinfarkt versterben. Weshalb dies so ist, wissen wir nicht. Wir vermuten, wie Sie bereits angetönt haben, einen Anstieg des Risikoverhaltens: Rauchen und Übergewicht haben bei jungen Frauen zugenommen. Diskutiert wird auch ein Anstieg an Stressfaktoren. Die Herzgesundheit der Frauen wird vermutlich auch zunehmend von sozioökonomischen Faktoren beeinflusst wie Armut, Alleinerziehung sowie Stress in der Arbeitswelt.

Spielt auch die Behandlung eine Rolle für die höhere Sterblichkeitsrate?
Frauen alarmieren die Ambulanz später oder gehen später zum Arzt. Denn die Symptome bei einem Herzinfarkt sind bei Frauen unspezifischer und äussern sich auch mal als Atemnot, unerklärliche Übelkeit und Erbrechen, Druck in Brust, Rücken oder Bauch. Im Spital dauert es dann ebenfalls länger, bis man bei einer Frau ein EKG anordnet oder sie ins Katheterlabor schickt. Die beim Herzinfarkt wichtige Zeit wird – aus mangelndem Wissen – oft mit unnötiger oder fehlgeleiteter Diagnostik verschwendet. Bei Frauen dauert es insgesamt länger, bis der Herzinfarkt behandelt wird.

Dazu kommt, dass offenbar die Komplikationsrate bei behandelten Frauen ebenfalls höher ist.
Das stimmt. Zudem haben wir kürzlich in einer meiner Studien festgestellt, dass die Komplikationsrate bei Frauen in den letzten 10 Jahren sogar noch zugenommen hat. Der technische Fortschritt hat sich bei den Männern in weniger Komplikationen und grösserem Behandlungserfolg niedergeschlagen. Bei den Frauen stieg die Komplikationsrate, der Erfolg blieb gleich.

Weshalb?
Da es sich um eine beobachtende Studie handelt, kennen wir die Gründe nicht genau. Wir wissen aber, dass Frauen kleinere Gefässe haben. Bei der Behandlung eines Herzinfarkts mittels Koronarangioplastie können Blutungen entstehen. Die kleinere Gefässgrösse bei Frauen muss bei der Behandlung berücksichtigt werden und könnte eine Erklärung sein. Ein weiterer möglicher Grund ist die eben erwähnte, längere Wartezeit bis zur Behandlung. Es ist bekannt, dass eine längere Wartezeit häufiger zu Komplikationen führt. Unterschiedliche Reaktionen auf Medikamente können ebenfalls zu mehr Komplikationen führen.

Wie steht es mit der Rehabilitation?
Frauen werden tatsächlich weniger Rehabilitations-Massnahmen verschrieben. Sie nehmen sie aber auch weniger in Anspruch. Oft versorgen sie Kinder, Verwandte und Eltern und lehnen deshalb die Reha ab, die sie dringend benötigten.

In Ihrem aktuellen Forschungsprojekt schauen Sie sich die unterschiedliche Physiologie von Frauen- und Männerherzen an. Was interessiert Sie genau?
Wir haben in den letzten paar Jahren am Universitätsspital Zürich Studien durchgeführt und festgestellt, dass die Frauenherzen mit dem Alter tendenziell kleiner werden und kräftiger schlagen. Das kann man daran sehen, dass nach dem Hinauspumpen des Blutes in den Kreislauf in der linken Herzkammer bei älteren Frauen weniger Blut zurückbleibt als bei Männern. Die Frage ist nun, ob dies etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist. Unsere Hypothese lautet, dass die Herzen von Frauen mit dem Alter hyperdynam werden, gestresster sind als die Männerherzen. Wir glauben, dass solche Herzen verwundbarer sind, wenn es zu einer Stresssituation wie einem Herzinfarkt kommt. Das stärker schlagende Herz wäre in diesem Fall also eher ein Nachteil.

Wie untersuchen Sie dies?
Wir schauen einerseits, wie sich im Alter das Stressniveau des Herzens verändert und welchen Einfluss Geschlechtshormone hierauf nehmen. Die Schweizerische Herzstiftung ermöglicht uns mit ihrer Unterstützung, die kostenintensive Produktion von Radioisotopen zu finanzieren, die wir für solche Messungen benötigen. Andererseits schauen wir uns an, wie sich der unterschiedliche Lebensstil von Frauen und Männern auf das alternde Herz auswirkt. Beispielsweise könnte es ja sein, dass Frauen im Alter einfach aktiver sind und deswegen einen kräftigeren Herzschlag haben. Bei den Patientenstudien ist es wichtig, neben dem biologischen Geschlecht auch das soziale Geschlecht zu berücksichtigen, also den Einfluss der Gesellschaft auf die Biologie und die Gesundheit von Mann und Frau.

Haben Sie bereits etwas entdeckt, was Ihre Hypothese bestätigt?
Frauen mit einer stärkeren Pumpfunktion des Herzens, dies zeigen erste Resultate, haben eine höhere Sterblichkeit als Frauen mit einer normalen Pumpfunktion. Insofern scheint sich unsere Vermutung zu bestätigen. Ausserdem konnten wir feststellen, dass das an und für sich schützende Östrogen gerade in der Phase des Herzinfarkts nicht mehr schützt oder sich sogar als Nachteil herausstellt. Dies hilft uns zu verstehen, weshalb gerade jüngere Frauen mit einem Herzinfarkt so verletzlich sind.

Wie wird Ihre Forschungsarbeit in Zukunft dazu beitragen, dass sich die Gesundheit von Frauen verbessert?
Das Beunruhigende ist, dass die heutigen diagnostischen Mittel, wie zum Beispiel ein Belastungs-EKG oder bildgebende Methoden, bei Frauen weniger aussagekräftig sind. Ich hoffe, dass wir mit unserer Forschung die Faktoren, die für die Herzgesundheit von Frauen eine wichtige Rolle spielen, herausfinden. So können wir diagnostische Untersuchungen künftig präziser gestalten und besser vorhersagen, welche Frauen aufgrund welcher Risikofaktoren welche Behandlungen benötigen. Bei Männern ist dieses Puzzle praktisch komplett, bei Frauen noch nicht.

Die Schweizerische Herzstiftung fördert Forschungsprojekte, um Patientinnen und Patienten in Zukunft besser helfen zu können.
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