Die Herzschwäche gut behandeln
Die Herzinsuffizienz oder Herzschwäche wird oft verkannt oder vernachlässigt. Dabei seien die Behandlungserfolge gerade bei dieser Krankheit besonders gross und brächten für Betroffene eine enorme Verbesserung der Lebensqualität, sagt Roger Hullin, Herzinsuffizienz-Spezialist am Universitätsspital Lausanne (CHUV).
Während der Herzinfarkt in aller Munde ist, hört man über die Herzinsuffizienz selten etwas, obwohl rund 200’000 Personen in der Schweiz davon betroffen sind.
Professor Hullin, geht die Herzinsuffizienz vergessen?
Prof. Roger Hullin: Die Herzinsuffizienz, ich nenne sie auch Herzmuskelschwäche, geht tatsächlich etwas vergessen. Das liegt daran, dass viele Symptome von den Betroffenen wie auch den behandelnden Ärztinnen und Ärzten häufig als unvermeidbare Folgen des Älterwerdens gesehen werden.
Die Herzinsuffizienz ist kein Schicksal, das man im Alter einfach hinnehmen muss?
Nein, denn wir können mit den heutigen Therapien die Beschwerden mindern, die Lebensqualität verbessern und das Leben verlängern, sodass Betroffene manchmal sogar die gleiche Lebenserwartung haben wie Nichtbetroffene.
Was schwächt den Herzmuskel?
Häufig ist es ein Herzinfarkt. Je nachdem, wie stark vor allem der linke Herzmuskel geschädigt ist, kann es sofort oder auch später zu einer Herzinsuffizienz kommen. Der zweite grosse Risikofaktor ist der Blutdruck. Wenn dieser über Jahre hinweg zu hoch ist, wird der Herzmuskel überlastet und er verändert seine Form. Daneben können andere Krankheiten oder Fehlbildungen des Herzens zur Herzmuskelschwäche führen.
Mit welchen Folgen?
Die Aufgabe der linken Herzkammer ist, sich mit sauerstoffreichem Blut zu füllen und dieses mit Muskelkraft in die Hauptschlagader auszuwerfen. Ist der linke Herzmuskel geschädigt, kann das Herz diese Aufgabe nur unvollständig erfüllen. Es genügt den Leistungsanforderungen des Körpers nicht mehr, zunächst unter körperlicher Belastung, später auch im Ruhezustand.
Wie macht sich das bemerkbar?
Zunächst zeigt sich eine verminderte Leistungsfähigkeit. Betroffene fühlen sich abgeschlagen oder haben keine Lust mehr, Aktivitäten zu unternehmen. Später kommen typische Symptome wie Atemnot, Wassereinlagerungen in den Beinen oder im Bauchraum hinzu. In der Blutuntersuchung sieht man dann auch, dass Organe wie die Leber oder Nieren geschädigt sind.
Weshalb bemerkt man dies lange nicht?
Eine schleichende Leistungseinbusse fällt nicht auf, weil man sich daran gewöhnt. Man kann sie gut mit anderen Dingen in Verbindung bringen, mit der Arbeitsbelastung, dem Stress in der Familie, einem möglichen Virusinfekt oder einer Überlastung im Sport. Erst die bereits genannten Symptome bewegen die Betroffenen dann zur ärztlichen Abklärung.
Prof. Roger Hullin ist Herzinsuffizienz-Spezialist am Universitätsspital Lausanne (CHUV).
Was passiert, wenn die Herzinsuffizienz nicht oder ungenügend behandelt wird?
Teile des Körpers werden weniger gut durchblutet. Wenn eine Herzmuskelschwäche lange fortbesteht, werden dadurch auch die Organe geschwächt und es kommt in diesen zu einem Funktionsverlust.
Leidet auch das Gehirn darunter?
Ja, ganz klar. Wir wissen, dass Herzinsuffizienz-Patient*innen sich weniger lange konzentrieren und weniger gut körperliche Aufgaben erfüllen können. Sie ermüden rascher und was sie zu leisten imstande sind, liegt deutlich unter dem, was Nichtbetroffene leisten.
Auch Betroffene mit einem Bürojob haben nicht mehr die gleiche Leistungsfähigkeit?
Mit Sicherheit nicht. Die Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit sind vermindert. Man kennt das ja selbst bei einer leichten Grippe, bei der man zwar noch am Computer arbeiten kann, sich aber deutlich schwerer tut als sonst. So ungefähr ergeht es Herzinsuffizienz-Betroffenen tagtäglich.
Was ist das Ziel einer Herzinsuffizienz-Behandlung?
Zunächst optimieren wir die Funktion des Herzens für den gesamten Körper. Wir setzen Medikamente ein, um das Zusammenspiel zwischen einem schwachen Herzen, den Organen und dem gesamten Körper zu verbessern. In der Folge kann sich auch ein Herz, das sich in seiner Form verändert hat, zum Teil vollständig normalisieren. Doch dies ist seltener der Fall.
Kann man die Herzinsuffizienz beheben?
Das ist durchaus möglich. Bis zu 25 Prozent der Patientinnen und Patienten mit einer eingeschränkten Pumpfunktion der linken Herzkammer können mit einer entsprechenden Behandlung wieder eine weitgehend normale Funktion erreichen.
Sind neben Medikamenten auch Eingriffe vorgesehen?
Je nach Erkrankung, die im Zusammenhang mit der Herzinsuffizienz steht, setzen wir verschiedene Therapien ein. Bei einer koronaren Herzerkrankung können Stents oder Bypässe den Blutfluss sicherstellen und die Herzfunktion verbessern. Undichte Herzklappen, wie sie bei einer Herzinsuffizienz häufig vorkommen, können durch Eingriffe ersetzt oder so behandelt werden, dass sie besser schliessen.
Wann kommen Herzschrittmacher zum Einsatz?
Schrittmacher, insbesondere eine kardiale Resynchronisationstherapie, können bei einer schweren Herzinsuffizienz die schlechte Zusammenarbeit zwischen einzelnen Teilen des Herzmuskels weitgehend korrigieren. Man muss sich das so vorstellen: Um das Blut optimal aus einer Herzkammer auszupressen, muss der Herzmuskel von allen Seiten gleichmässig drücken. Beteiligen sich nicht alle Wände gleichzeitig, funktioniert das Pressen zwar noch, ist aber nicht sehr effizient. Eine Resynchronisationstherapie hilft, die Koordinationsprobleme zu beheben und die Herzfunktion zu verbessern.
Was verbessert die Prognose einer Herzinsuffizienz?
An erster Stelle natürlich die Diagnose, sie erst ermöglicht die Behandlung. Dann sollten bei einer Behandlung die Richtlinien, die 2021 erneuert worden sind, unbedingt berücksichtigt werden. Drittens sollten Patientinnen und Patienten verstehen, weshalb sie die Therapien erhalten. Das ist für Herzinsuffizienz-Patient*innen nicht immer einfach, weil sie oft sehr viele Medikamente einnehmen müssen.
Gibt es neue Therapien?
Die SGLT2-Hemmer sind eine Erfolgsgeschichte. Es sind neue Medikamente, die ursprünglich gegen Diabetes eingesetzt wurden und dann unerwartet eine wichtige Rolle in der Herzinsuffizienz-Therapie spielten. Mittlerweile haben wir einen sicheren Hinweis, dass diese Medikamente bei allen Herzinsuffizienz-Patient*innen wirken.
Wie steht es mit den Herzunterstützungs-Systemen, auch Herzpumpen genannt?
Diese werden einen immer wichtigeren Platz einnehmen. Wir setzen sie bei den Patientinnen und Patienten mit einer schweren Herzinsuffizienz ein, die aufgrund des Alters oder aus medizinischen Gründen nicht für eine Herztransplantation infrage kommen. Ein Herzunterstützungs-System ist eine einschneidende Therapie, die nicht alle in den Alltag einbauen können. Jedoch haben viele Betroffene dank dieser sehr wirksamen Therapie jahrelang eine sehr gute Lebensqualität. Herzpumpen stellen daher heutzutage eine sehr gute Alternative zur Herztransplantation dar.