Das Herz ist an der Demenz mitbeteiligt
Der Neurologe David Seiffge spricht im Interview über den Alterungsprozess des Gehirns. Er erklärt, was zu einer vaskulären Demenz führt und welche Rolle das Herz dabei spielt.
Herz und Hirn sind sich näher, als man denkt: Gewisse Demenzen entstehen aufgrund einer häufigen Herzrhythmusstörung. Für den Neurologen David Seiffge vom Inselspital Bern ist die neue Erkenntnis eine grosse Chance. Denn durch eine gute Früherkennung und Behandlung liesse sich der geistige Abbau bei vielen Betroffenen verhindern.
Demenz macht vielen Menschen Angst. Ist die Angst für Sie verständlich?
PD Dr. David Seiffge: Sie ist gut nachvollziehbar. Bei einer Demenz gehen geistige Fähigkeiten, die der Mensch erworben hat, aufgrund einer Gehirnerkrankung verloren. Man fällt also von einem hohen Niveau der kognitiven, das heisst geistigen, Leistungsfähigkeit wieder zurück. Das ist immer auch mit einem Verlust der Selbständigkeit verbunden und macht Angst.
Ist die Angst auch berechtigt?
Demenzen sind leider häufig. Man schätzt, dass weltweit jedes Jahr 60 Millionen Menschen an einer Demenz erkranken. Gerade in Ländern, wo die Bevölkerung immer älter wird, nehmen auch Demenzerkrankungen zu.
Auch ein gesundes Gehirn altert. Was passiert beim normalen Alterungsprozess?
Das Gehirn besteht aus Nervenzellen, die über zahlreiche Axone und Synapsen untereinander verbunden sind. Unser Körper bildet in der Regel keine neuen Nervenzellen, aber die Synapsen werden ständig auf und nicht benutzte Synapsen abgebaut. Beim normalen Altern des Gehirns nimmt die Anzahl Nervenzellen nur leicht ab, aber die Synapsen können weniger werden. Die Nervenzellen haben also weniger Verbindungen untereinander, wodurch das Gehirn insgesamt langsamer wird. Bestehende Fähigkeiten bleiben vorhanden, man lernt aber nicht mehr so schnell Neues. Deshalb ist es für ältere Menschen schwieriger als für jüngere, beispielsweise mit den neuen Informationstechnologien wie Computern und Smartphones umzugehen.
Und bei einer Demenz?
Im Gegensatz zum normalen Altern gehen bei einer Demenz Nervenzellen im grossen Stil unter. Dadurch kommt es zu Einschränkungen, die im Alltag spürbar werden. Zunächst kommt es zu einer Vorform der Demenz, die wir Mild Cognitive Impairment nennen. Höhere Gehirnfunktionen sind bereits eingeschränkt, beispielsweise Sprache, Sprechen, Orientierung, abstraktes Denken. Allerdings noch nicht so, dass das tägliche Leben stark beeinflusst wird. Man ist noch selbständig. Werden die Einbussen so gross, dass man im Alltag nicht mehr allein zurechtkommt und Unterstützung braucht, sprechen wir von einer Demenz.
Dr. med. David Seiffge, Neurologe am Inselspital in Bern
Was verursacht eine Demenz?
Wenn wir Symptome einer Demenz feststellen, suchen wir nach der Krankheit, die dahintersteckt. Die häufigste Krankheit ist die Alzheimer-Demenz. Dabei kommt es zur Ablagerung falsch gefalteter Eiweisse, wir nennen sie Amyloide oder Plaques, welche die Nervenzellen absterben lassen.
Also eine Art Müll, der sich zwischen den Nervenzellen ablagert?
Genau. Dazu wird immer noch sehr viel geforscht und es gibt zahlreiche Theorien, wie es zu den Ablagerungen kommt und wie diese den Krankheitsprozess in Gang setzen. Doch trotz Milliarden an Forschungsgeldern tappen wir hier noch immer im Dunkeln. Wir verstehen diese Krankheit noch nicht ausreichend genug.
Haben Sie dazu eine Erklärung?
Das Gehirn ist ein sehr komplexes Organ. Dazu kommt, dass es gut im Schädel verpackt und von vielen unserer ärztlichen Methoden abgeschirmt ist. Wir können dort nicht einfach für Untersuchungen Gewebe entnehmen. Aufgrund der Blut-Hirn-Schranke ist der Austausch zwischen Gehirn und Blut weitgehend begrenzt. Beim Herzen zum Beispiel ist vieles einfacher: Den Herzinfarkt sieht man sofort anhand der Herzenzyme im Blut, das Herz lässt sich relativ einfach mit einem Ultraschall oder Herzkatheter darstellen. Der Zugang zum Gehirn ist viel schwieriger, wir können nicht einfach aufschneiden und nachschauen. Dies schränkt uns auch in der Forschung ein.
Neben der Alzheimer-Demenz, die wie gesagt durch Ablagerungen entsteht, gibt es auch die vaskuläre Demenz. Was versteht man darunter?
Tatsächlich geht oft vergessen, dass sehr viele Patientinnen und Patienten an einer vaskulären Demenz erkranken. Diese ist die zweithäufigste Form der Demenz und für etwa 25 Prozent der Fälle verantwortlich. Manchmal gibt es auch eine Mischform, also Alzheimer und vaskuläre Demenz. Die vaskuläre Demenz wird durch eine Veränderung der Durchblutung im Gehirn ausgelöst.
Was führt dazu?
Auslöser kann ein einzelner Hirnschlag sein. Der Beginn ist dann meist plötzlich, jemand hat einen Hirnschlag und damit fängt eine Demenz an. Daneben gibt es schleichende Prozesse. Wir kennen sogenannte Mikroangiopathien, das heisst Erkrankungen der kleinsten Gefässe im Gehirn. Es kommt zu Mikro-Infarkten oder mikroskopisch kleinen Blutungen. Die einzelnen Infarkte sind stumm, in der Summe über Jahre hinweg nehmen die Schäden am Gehirn jedoch zu.
Wie kommt es zu einer vaskulären Demenz?
Das Alter spielt eine Rolle, daneben die vaskulären Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Diabetes, die Blutfette und das Rauchen. In den letzten Jahren ist das Vorhofflimmern, eine bei älteren Menschen häufige Herzerkrankung, als Risikofaktor hinzugekommen.
Das Herz kann also die Gesundheit des Gehirns beeinflussen?
Genau. Das Vorhofflimmern ist eine Herzrhythmusstörung im Bereich der Herzvorhöfe. Es können sich dort Gerinnsel bilden, die ins Gehirn gelangen. Wenn man ein Vorhofflimmern feststellt, hat man bislang versucht, den Rhythmus zu kontrollieren und durch Blutverdünnung Hirnschläge zu verhindern. Dank aktueller Studien, die unter anderem von der Schweizerischen Herzstiftung unterstützt werden, haben wir neue Erkenntnisse gewonnen. Manche Vorhofflimmern-Patient*innen haben solche Mikro-Infarkte, also kleine, unbemerkte Infarkte an Stellen im Gehirn, die für das Denken wichtig sind.
Wie können solche Infarkte unbemerkt bleiben?
Das Gehirn ist in einzelne Bereiche unterteilt, die für verschiedene Aufgaben zuständig sind. Wenn der Bereich für den Arm oder die Sprache von einer Schädigung betroffen ist, merkt man dies rasch. Der Arm ist schlaff, man hat Sprachstörungen und so weiter. Nehmen andere Bereiche für komplexere Aufgaben Schaden, wie beispielsweise das abstrakte Denken spüren dies die meisten Menschen nicht sofort. Man sieht zwar auf dem MRI, dass sich ein stummer Hirnschlag ereignet hat. Der Patient oder die Patientin hat aber keine Symptome bemerkt.
Wie wirken sich solche unbemerkten Hirnschläge auf die Gesundheit aus?
Einerseits kann man feststellen, dass Betroffene mit stummen Infarkten eine schlechtere geistige Leistungsfähigkeit haben als Nicht-Betroffene. Auch wenn man selbst nichts merkt, ist das Gehirn beeinträchtigt. Andererseits wissen wir aus Studien im Inselspital, dass das Risiko für einen grossen Hirnschlag bei diesen Patient*innen erhöht ist. Das wollen wir natürlich verhindern.
Lässt sich dies verhindern?
Daran arbeiten wir momentan. Wir überprüfen bei Patient*innen mit stummen Infarkten nun auch, ob ein unerkanntes Vorhofflimmern vorliegt. So können wir gezielter behandeln und weiteren Hirnschlägen vorbeugen. Umgekehrt ist es wichtig, das Vorhofflimmern frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, dass sich die stummen Infarkte überhaupt ereignen. Wenn wir dies zukünftig schaffen, leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Prävention der Demenz.
Wenn man geistige Einbussen feststellt, lässt sich dann noch etwas ausrichten?
Zunächst ist es wichtig, dass man diese sinnvoll abklärt. Also bei Neurolog*innen oder Fachpersonen in Memory Clinics. Sind die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigt, finden anschliessend weitere Untersuchungen statt, meist mit einem MRI. Dies ist wichtig, denn bei einer vaskulären Demenz beispielsweise kann man durch eine gute Behandlung der Risikofaktoren den Krankheitsverlauf durchaus positiv beeinflussen.
Kann man selbst etwas tun, um eine vaskuläre Demenz zu verhindern?
Die Antwort ist einfach, weil die Regeln fürs Herz auch fürs Gehirn gelten. Die mediterrane Ernährung gehört dazu, regelmässige Bewegung, Sport an der frischen Luft. Wenn Risikofaktoren, wie zum Beispiel Bluthochdruck, vorliegen, ist eine rigorose Behandlung ausschlaggebend.