Rasch Vertrauen in den Körper finden
Was kann ich mir noch zutrauen? Wie viel körperliche Belastung ist gut für mein Herz? Wie Herzpatientinnen und ‑patienten das Vertrauen in den Körper und den Glauben an ihre Leistungsfähigkeit zurückgewinnen, erklären zwei Experten.
Jeder Herzinfarkt entsteht aufgrund einer Durchblutungsstörung der Herzkranzgefässe und verursacht einen Schaden am Herzmuskel. Trotzdem ist nicht jeder Herzinfarkt gleich. Diese Tatsache geht gerne vergessen. Viele Betroffene werden aufgrund eines Druckgefühls auf der Brust frühzeitig behandelt. Andere müssen reanimiert werden und entkommen knapp dem plötzlichen Herztod.
Den einen setzt man einen Stent und das war es dann. Andere wiederum haben eine aufwendige Bypass-Operation hinter sich. Manche sind später wieder voll leistungsfähig, bei anderen ist ein grosser Teil des Herzmuskels zugrunde gegangen. Und schliesslich: Es gibt Betroffene, die nachher gut damit klarkommen und solche, die nur schwer das Vertrauen in ihren Körper zurückfinden. Deshalb ist die richtige Betreuung nach dem Ereignis wichtig.
Drei Erfolgsrezepte für die Zukunft
Das Leben nach dem Herzinfarkt beginnt idealerweise mit einer guten Herzrehabilitation. «Ausschlaggebend ist, dass der Patient oder die Patientin versteht, wieso es zum Herzinfarkt gekommen ist», sagt Prof. Jean-Paul Schmid, Chefarzt Kardiologie an der Rehabilitationsklinik Barmelweid, «und dass man das Verhaltensmuster ändern und damit die Herzgesundheit positiv beeinflussen kann.» Gelingt dies, ist die Hauptaufgabe der Reha erfüllt.
Für Schmid machen folgende drei Fragen den zukünftigen Erfolg punkto Herzgesundheit aus: Werde ich meine Medikamente regelmässig einnehmen? Werde ich mich gesund ernähren? Und gelingt es mir, mich ausreichend zu bewegen? Letzteres ist besonders wichtig. «Ein Körper, der nicht regelmässig benützt wird, geht langsam zugrunde», sagt Schmid. In der Reha wird deshalb zunächst beurteilt, wie stark das Herz geschädigt worden ist. Auf dieser Beurteilung baut ein individuelles Programm auf, das langsam die Leistungsfähigkeit steigert. Im Gruppentraining unter Aufsicht erleben Betroffene, dass dem Herzen nichts passiert, wenn es belastet wird, dass keine Atemnot entsteht, keine Rhythmusstörung, kein Schmerz. «Viele meinen, sich schonen zu müssen, und unterschätzen, was das Herz auch nach einem Infarkt leisten kann», sagt Schmid.
Ein Leben in Bewegung hat drei grosse Vorteile: Man bleibt erstens lange fit und kann so den negativen Effekten des Alterns entgegenwirken. Zweitens tut regelmässige körperliche Belastung dem psychischen Befinden gut, was wiederum hilft, das Leben und die damit verbundenen Schwierigkeiten anzupacken. Drittens beeinflusst Bewegung die kardiovaskulären Risikofaktoren positiv und wirkt entzündungshemmend. Das heisst: Die entzündlichen Prozesse, die für akute Schäden an den Gefässen und als Auslöser für einen Herzinfarkt verantwortlich sind, gehen zurück. Dies schützt das Herz auch in Zukunft.
Zurück ins Leben finden
Bei einem Herzinfarkt liefert die Kardiologie heute ausgezeichnete Resultate. Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. «Für den weiteren Verlauf ist wichtig, ob es einem Herzpatienten, einer Herzpatientin gelingt, das oft traumatische Ereignis gewinnbringend zu verarbeiten und das Leben schrittweise wieder in die Hand zu nehmen», sagt der Berner Kardiologe Dr. Peter Gnehm. Schon die Tatsache, dass man jeden Morgen bis zu fünf Medikamente schlucken muss, erinnert an die Herzgeschichte und vermittelt ein Krankheitsgefühl.
Damit der neue Alltag gelingt, ist auch für ihn die Herzrehabilitation zentral. Später spielt die Langzeitbetreuung der Ärztinnen und Ärzte eine wichtige Rolle. Bei der regelmässigen Kontrolle sind für ihn der Blutdruck, der Cholesterinspiegel oder das Belastungs-EKG beispielsweise wertvolle Anhaltspunkte. Doch genauso wichtig wie die Werte sind das Gespräch und das Mut machen. Patientinnen und Patienten, gerade wenn sie ängstlich sind, müssen wieder Vertrauen in den Körper gewinnen.
Ein wichtiges Instrument, um dieses Vertrauen wiederherzustellen, ist der Laufbandtest. Gnehm lässt Patientinnen und Patienten bis zur Erschöpfung hochlaufen. Sie sollen merken, dass sie sich komplett auspowern können und dabei nichts passiert. «Meine Aufgabe ist es, die Fähigkeiten der Patientinnen und Patienten zu erfassen und sie darin zu bestärken, dass sich ein aktiver Lebensstil lohnt», sagt Gnehm.
Vielleicht ein neuer Aufbruch
Angst und Schuldgefühle zu verstärken oder Druck aufzubauen, sei die falsche Methode, sagt der Kardiologe, der sich manchmal über die Angst auslösenden Aussagen seiner ärztlichen Kolleginnen und Kollegen wundert. Auch bei anderen Zielen wie der Gewichtsreduktion oder dem Rauchstopp geht es darum, die kleinen Fortschritte zu betonen, statt das Negative zu kultivieren. Nicht allen Betroffenen gelingt das Leben nach einem Herzinfarkt. Gescheiterte Lebensentwürfe, schwierige Biografien, ein fehlendes soziales Umfeld oder vorbestehende Depressionen erschweren den Krankheitsverlauf.
Dennoch hat der Kardiologe positive Nachrichten: Eine gute Betreuung hilft den meisten Herzinfarktbetroffenen, wieder Fuss zu fassen. Am Anfang ringen alle mit dem erlebten Infarkt. Richtig glücklich ist Peter Gnehm, wenn er dann aber sieht, dass jemand nach drei Monaten Rehabilitation oder nach der ersten Jahreskontrolle wieder voll in Familie und Beruf reintegriert ist und in einer Herzgruppe vielleicht sogar neue Freundschaften fürs Leben schliessen konnte.
Hören Sie den Podcast zum Thema
Was kann ich meinem Herzen nach einem Infarkt zumuten, wie stark darf ich es belasten? Was bringt mir die Reha im Anschluss an den Spitalaufenthalt und wie kann mich eine Herzgruppe unterstützen, wenn ich wieder zurück im Alltag bin? Sporttherapeutin und Herzgruppenleiterin Sandra Fuhrer erklärt, wie sie den Herzpatientinnen und Herzpatienten das Vertrauen in ihre eigenen Körper und ihre Fitness zurückbringen kann. Und unsere drei Betroffenen erzählen, wie sich ihre Leben durch den Herzinfarkt verändert haben – auch zum Positiven.