Harziger Weg ins Erwachsenenleben

Vor fünfzehn Jahren kam Gian Eggenschwiler mit einem halben Herzen zur Welt. Dank mehreren Operationen kann er bis heute ein praktisch ­uneingeschränktes Leben führen. Wäre da nicht sein Gehirn, das ihn und die Familie seit ein paar Jahren auf Trab hält.

Aktualisiert am 29. Januar 2024
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Im Sommer wird Gian seine Lehre als Zeichner Architektur beginnen. Die Zusage ist soeben eingetroffen, die Familie Eggenschwiler ist erleichtert. «Wir können uns jetzt ganz auf die kommenden Ferien freuen», sagt die Mutter Barbara. Sie blickt auf und lächelt zurückhaltend.

Jedes Stück Normalität ist ein Anlass zur Freude in einer Familie, in der sich alles etwas schwieriger gestaltet als in anderen. Angefangen hat es mit der Geburt von Gian vor fünfzehn Jahren. Als der Arzt feststellte, dass mit dem frisch geborenen Buben etwas nicht stimmte, fuhr ihn die Ambulanz ins Kantonsspital Aarau. Von dort flog er mit der Rega ins Kinderspital Zürich. Der Kinderkardiologe diagnostizierte einen schweren Herzfehler: Die rechte Herzkammer war verkümmert, Gian kam mit nur einer statt zwei Kammern zur Welt. Man spricht auch von einem univentrikulären oder halben Herzen. Dadurch vermischte sich das frische mit dem verbrauchten Blut. Der kleine Körper wurde nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt.

Drei grosse Eingriffe
Früher wäre dies ein pechschwarzer Tag gewesen. Viele Kinder starben bereits in den ersten Tagen oder Wochen. In den letzten Jahrzehnten ist die Überlebensrate erfreulicherweise stark gestiegen und beträgt heute etwa 90 Prozent. Das hat aber seinen Preis: Bereits am zweiten Tag seines jungen Lebens erlebt Gian die erste grosse Herzoperation. «Für uns ist eine Welt zusammengebrochen», sagt Barbara Eggenschwiler, «wir hatten keine Ahnung, wie es jetzt weitergeht.» In den nächsten drei Jahren folgen zwei weitere schwere Eingriffe. Auch heute hat Gian immer noch nur eine Herzkammer. Die aufwendigen Operationen haben die Blutzirkulation jedoch so umgeleitet, dass sich das verbrauchte und frische Blut im Herzen nicht mehr vermischt. Dadurch kann er ein normales Leben führen. Im Sommer 2016 traf das Magazin der Schweizerischen Herzstiftung den Jungen erstmals. Der damals Achtjährige spielte im lokalen Unihockey-Juniorenteam. Nichts wies darauf hin, dass er mit einem schweren Herzfehler lebt.

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«Wie lange wird Gian mit seinem eigenen Herzen weiterleben können? Solche Unsicherheiten beschäftigen uns immer wieder», sagt Christoph Eggenschwiler.

Durcheinander im Kopf
Die Fortschritte in der Kinderherzchirurgie sind riesig, trotzdem bleibt ungewiss, wie es den Kindern im Jugend- und Erwachsenenalter ergehen wird. Wie entwickelt sich Gian, wie lange wird er mit seinem eigenen Herzen weiterleben können? Solche Unsicherheiten beschäftigten auch immer wieder die Eltern, wie der Vater Christoph erzählt. Anfang letzten Jahres trat dann eine Verschlechterung ein, das halbe Herz meldete sich zurück. «Sobald es anstrengend wird, zum Beispiel wenn es bergauf geht, werde ich langsamer als die anderen», sagt Gian. Dass seine Ausdauer mit der Zeit immer schlechter würde, war voraussehbar. Richtig bemerkbar machte sich dies allerdings erst nach seiner Covid-19-Erkrankung, sagt die Mutter Barbara.

Hinzu kam, dass Gian immer quirliger und unruhiger wurde. Ab der dritten, vierten Klasse benahm er sich im Unterricht auffällig. Er erhielt eine ADHS-Diagnose. Die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung erschwert es ihm, sich zu konzentrieren und still zu sitzen. Das ist nicht aussergewöhnlich: Leichte bis mittelschwere Entwicklungsprobleme stellt man bei 20 bis 40 Prozent der Kinder fest, deren Herzfehler so schwer ist, dass er an der Herz-Lungen-Maschine operiert werden muss. Bei manchen sind die motorischen Fähigkeiten, das Schreiben oder das Lesen beeinträchtigt. Andere Kinder leiden unter einer Verhaltensauffälligkeit. Gian erhält deswegen seit einigen Jahren ein Medikament, das verhindert, dass er im Kopf ein «Gnusch» hat und ihn jede Kleinigkeit ablenkt.

Belastetes Familienleben
Im letzten Frühling musste er wegen Pöbeleien und Streitereien die Klasse wechseln. Er reagierte zunehmend aggressiv. «Ich sag und mach manchmal Dinge, die ich nicht machen sollte», erzählt er. Das Familienleben litt stark darunter, die Mutter Barbara war komplett erschöpft. Eine Familienrehabilitation in Davos brachte die nötige Erholung für sie, ihren Mann und die drei Buben. «Wir mussten schwer kämpfen, dass uns die Krankenkasse finanziell unterstützt», sagt Christoph Eggenschwiler. Dass es in der Schweiz kein familiengerechtes, von der Krankenkasse finanziertes Angebot gibt, ist für ihn unverständlich. Die Reha und die therapeutische Begleitung, die Gian seitdem erhält, wirkt sich auf alle positiv aus. Es kehrt langsam wieder Ruhe in die Familie ein und die Eggenschwilers können etwas durchatmen.


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