Eine Uhr fürs Herz

Einige Smartwatches und Fitnessarmbänder sollen Vorhofflimmern erkennen können. Wie gut sie dies tatsächlich tun und zu welchen Problemen solche Diagnosen führen, erklärt Patrick Badertscher, Kardiologe am Universitätsspital Basel.

Aktualisiert am 29. Januar 2024
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Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung und kann neben Herzbeschwerden auch Hirnschläge verursachen. Weil es in vielen Fällen nur gelegentlich auftritt und unbemerkt bleibt, wird es oft erst nach einem Hirnschlag diagnostiziert. Einige Smartwatches wie die Apple Watch oder Fitnessarmbänder wie Fitbit haben Funktionen, die Vorhofflimmern aufdecken können. Sind diese Funktionen zuverlässig und eignen sie sich für die Vorsorge? Der Kardiologe PD Dr. Patrick Badertscher hat in einer von der Schweizerischen Herzstiftung mitunterstützten Studie am Universitätsspital Basel fünf Geräte an rund 300 Personen ausgetestet.

Herr Badertscher, wie ist es möglich, dass eine handelsübliche Uhr am Handgelenk eine Herzrhythmusstörung erkennt?
Patrick Badertscher: Solche Geräte bestimmen über zwei Mechanismen den Herzrhythmus und die Herzfrequenz. Der eine Mechanismus ist ein Licht an der Unterseite der Uhr, das von den roten Blutkörperchen reflektiert und durch die Uhr in eine Pulskurve umgerechnet wird. Weil Vorhofflimmern zu einem unregelmässigen Puls führt, kann die Uhr solche Unregelmässigkeiten erkennen und auf Vorhofflimmern hinweisen.

Und der zweite Mechanismus?
Dieser liefert ein Einkanal-EKG mithilfe von zwei Elektroden. Die eine Elektrode befindet sich an der Unterseite der Uhr und die zweite an der Krone. Die Qualität des EKGs ist gut. Die Aussagekraft jedoch ist eingeschränkter im Vergleich zum 12-Kanal-EKG, das in der Arztpraxis oder im Spital der Standard ist. Aufgrund dessen ist es in der Regel auch nicht möglich, mittels Einkanal-EKG einen Herzinfarkt zu erkennen.

Wie zuverlässig deckt die Uhr eine Rhythmusstörung auf?
Die Uhr analysiert das EKG mit einem Algorithmus ausgestattet mit künstlicher Intelligenz und teilt es in drei Kategorien ein: normaler Rhythmus, Vorhofflimmern oder unbestimmbarer Rhythmus. Bei dieser Einteilung hatten die Geräte in unserer Studie Probleme. Die Aussagen «normaler Rhythmus» und «Vorhofflimmern» waren zwar sehr genau. Bei bis zu einem Viertel der EKGs jedoch konnten die Geräte den Herzrhythmus nicht einteilen. Kardiologinnen und Kardiologen machten dies besser als die Uhr.

Was sind weitere Einschränkungen?
Gewisse Uhren kann man aufgrund der begrenzten Akkudauer nur eine gewisse Zeit tragen. Dies kann dazu führen, dass gerade während des Aufladens das Vorhofflimmern auftritt. Ausserdem sind nicht alle Geräte gleich bedienungsfreundlich.

Portrait Badertscher rgb nb web

Erkennt die Uhr ein Vorhofflimmern, sagt dies nicht viel über die Gefahren aus, so der Kardiologe Patrick Badertscher.

Was bedeutet es, wenn Uhren sich gesund fühlende Menschen vor Vorhofflimmern warnen?
Die Vorsorgeuntersuchung zur Erkennung von Vorhofflimmern ist ein schwieriges, kontroverses Thema. Wenn die Uhr ein Vorhofflimmern diagnostiziert, sagt dies noch nicht viel über allfällige Gefahren aus. Wichtig ist, ob Risikofaktoren für einen Hirnschlag vorliegen. Diese müssen wir Kardiologinnen und Kardiologen mittels einer Risikoberechnung ermitteln, die Uhr kann das nicht. Relevant ist auch, wie viel Zeit Patient*innen im Vorhofflimmern sind, denn je höher die Dauer, desto höher das Hirnschlagrisiko. Auch dies können die Uhren nicht herausfinden. Wir wissen zwar, dass ein Vorhofflimmern vorliegt. Es ist aber teilweise unklar, was wir symptomlosen Personen empfehlen sollen.

Das heisst, dies führt zu unnötigen Verunsicherungen?
Ja, nicht nur bei denjenigen mit Vorhofflimmern. Menschen sind auch beunruhigt, wenn die Uhr kein Resultat liefern kann. Ein möglicher Grund ist eine unbedeutende Unregelmässigkeit im EKG, oder harmlose Extraschläge, was sehr häufig vorkommt. Bewegung und Atmung können zu Daten führen, welche die Uhr nicht analysieren kann. Wir Ärztinnen und Ärzte müssen dann bei gesunden Menschen ein EKG überprüfen, was zu Mehraufwand führt.

Spüren Sie dies bereits in Ihrem Alltag?
Ja, deshalb haben wir einen neuen Online-Service eingerichtet, die Basel Wearable Clinic. Auf www.wearableclinic.ch können Betroffene das EKG ihrer Uhr oder ihres Fitnessarmbands selbst hochladen. Wir analysieren es und können so rasch beruhigen.

Wo bringen diese Uhren einen klaren Nutzen?
Gewisse Herzrhythmusstörungen, die meist bei jungen Patientinnen vorkommen und nur selten auftreten, sind für uns schwierig zu erfassen. Hierfür ist eine Smartwatch sehr geeignet. Die Patientinnen können bei einem der Anfälle ihr EKG mit der Uhr aufzeichnen. Ebenfalls nützlich ist eine solche Uhr bei Patient*innen mit Vorhofflimmern nach der Ablation, also nach der Verödung der elektrischen Störfelder im Herzen. In der Nachsorge kann überprüft werden, ob weitere Rhythmusstörungen auftreten.

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