Das Rezept für mehr Bewegung
Körperliche Aktivität ist Medizin. Dies haben unzählige Studien nachgewiesen. Doch noch immer wird die heilende Kraft der Bewegung zu wenig genutzt. Die Therapieexpertin Andrea Suter versucht nun mit einem neuen Ansatz, die Eigenmotivation nach der Rehabilitation zu verbessern.
Es gibt viele sehr gute Gründe für mehr Bewegung im Alltag. Die Sterblichkeit aufgrund von HerzKreislauf-Krankheiten wird gemäss Bundesamt für Gesundheit (BAG) um sieben Prozent reduziert, beim Hirnschlag sogar um vierzehn Prozent. Auch bei anderen Krankheiten wie Diabetes, Arthrose oder Depressionen zeigt Bewegung eine ähnliche Wirkung wie eine medikamentöse Behandlung oder eine Psychotherapie. Das Potenzial der Bewegung gerade nach der Herzrehabilitation ist riesig, es wird allerdings zu wenig genutzt, besonders hierzulande. «Die Schweiz müsste diesbezüglich einen grossen Schritt vorwärtsmachen», meint die Therapieexpertin Andrea Suter vom Inselspital in Bern.
Wenig Antrieb für Bewegung
Gründe dafür sind vielseitig. Wir leben in einer Gesellschaft, die es uns in den letzten Jahrzehnten immer bequemer gemacht hat. Unser Leben findet hauptsächlich im Sitzen statt, am Arbeitsplatz, im Auto, zu Hause vor dem Computer oder Fernsehgerät. Damit wir uns bewegen, müssen wir uns meist aktiv dazu entscheiden. Nicht allen aber fällt diese Entscheidung leicht. «In meiner Kindheit und Jugend ging ich in der Freizeit oft ins Sporttraining», erzählt Andrea Suter, «deshalb gehört die Bewegung für mich immer schon zum Alltag.»
In anderen Familien oder gesellschaftlichen Gruppen jedoch, wo körperliche Aktivität kein Thema ist, fällt es den Kindern später im Erwachsenenalter oft schwerer, regelmässig Sport zu treiben. Der soziale Hintergrund, aber auch die persönliche Lebenslage können zum Hindernis für ein Bewegungsprogramm werden, wie es beispielsweise nach einer Herzrehabilitation nötig wäre. Gute Vorsätze verpuffen rasch und man befindet sich wieder im alten Trott. «Für mich ist klar, dass die Motivation zu mehr Bewegung nach der Rehabilitation schon während der Rehabilitation beginnen muss», sagt Andrea Suter. Ein neuer Ansatz dafür ist die motivierende Gesprächsführung, auch Motivational Interviewing genannt.
Was motiviert mich?
Um die Eigenmotivation zu stärken und eine Verhaltensänderung aufzubauen, stehen verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung. Eines ist ein Fragebogen der Universität Bern, der hilft, den persönlichen Sporttyp zu bestimmen. Also: Was erwartet man vom Sport, was spornt einen an? Will ich damit abnehmen? Oder geht es mir darum, mit anderen Menschen zusammen zu sein, beispielsweise in einer Herzgruppe? Bin ich eher der Wettkampftyp, der sich mit anderen messen muss?
Solche Hinweise helfen, die richtige Bewegungs- und Trainingsart zu finden und messbare Ziele festzusetzen, die jemand längerfristig umsetzen kann. Mit den gemeinsam besprochenen Zielen stellt Andrea Suter zusammen mit den Patientinnen und Patienten einen individuellen Wochenplan zusammen. So kann man bereits während der Reha ausprobieren, wie man mit einem selbständigen Programm zurechtkommt. Denn den Plan einzuhalten, fällt nicht allen einfach.
Barrieren abbauen
Wer will sich nach einem stressgeplagten Arbeitstag, besonders wenn das Wetter schlecht ist, nicht lieber gemütlich aufs Sofa legen und einen spannenden Krimi schauen, statt Sport zu treiben? Andrea Suter hört solche Ausflüchte täglich und nennt sie Barrieren. Meist sind es wiederkehrende Barrieren, die dazu führen, dass man ein Training sausen lässt. Um solche Hindernisse zu überwinden, entwickelt sie mit den Patient*innen Strategien. «Die Lösung für die beschriebene Situation zum Beispiel ist, dass man es sich gar nicht erst gemütlich machen darf», erklärt sie.
Das heisst: Den Sport gleich nach der Arbeit einplanen, noch bevor man in den weichen Sofakissen versinkt und den Fernseher anstellt. Oder gleich nach dem Frühstück die Schuhe anziehen und 20 Minuten laufen gehen, bevor man die Zeitung zur Hand nimmt oder andere Arbeiten erledigt. «Anfänglich muss man sich bewusst selbst überlisten», erklärt Andrea Suter, «bis man die körperliche Aktivität zur Routine gemacht und in einen Tages- oder Wochenablauf eingebaut hat.»
Gesundheitsversorgung verbessern
Während der Reha erlebt Andrea Suter die meisten Betroffenen als hoch motiviert. In der Zeit danach ist man jedoch auf sich allein gestellt, und darauf braucht es eine gute Vorbereitung. Für Andrea Suter ist die motivierende Gesprächsführung ein wichtiger Weg, um eine langfristige Verhaltensänderung zu bewirken. Doch auch in der Gesundheitsversorgung muss sich ihrer Meinung nach dringend etwas ändern. Es brauche eine stärkere Finanzierung von langfristigen Bewegungsprogrammen. Ein finanziertes Bewegungsprogramm nach der Rehabilitation ist in der Schweiz noch immer nicht verankert. Die rund 150 Herzgruppen sind private, von der Schweizerischen Herzstiftung unterstützte Initiativen. Ein solches Training vergütet die Grundversicherung der Krankenkasse nicht. Ganz im Gegensatz zu Ländern wie Finnland, Norwegen und Dänemark: Dort zahlen Patientinnen und Patienten für Bewegungsangebote nichts oder nur einen kleinen Selbstbehalt.
Wie viel Bewegung wird empfohlen?
Körperliche Untätigkeit, wie langes Sitzen oder Liegen, sollte möglichst vermieden werden. Nutzen Sie also jede Gelegenheit, aufzustehen und Ihren Körper zu bewegen. Wer bislang nicht körperlich aktiv war, bei dem hat schon ein bisschen zusätzliche Bewegung eine Wirkung. Und schliesslich: Es ist nie zu spät, körperlich aktiv zu werden. Auch im fortgeschrittenen Alter bringt Bewegung einen grossen Nutzen. Aber wie viel Aktivität braucht es? Für Erwachsene gilt folgende Basisempfehlung für gesundheitswirksame Bewegung:
- 2,5 Stunden Bewegung mittlerer Intensität pro Woche, möglichst über mehrere Tage verteilt. Dazu ein Beispiel: Sie machen an fünf Tagen die Woche einen zügigen Spaziergang von je einer halben Stunde.
- Oder 1,25 Stunden Sport pro Woche, bei dem Sie beschleunigt atmen müssen und leicht ins Schwitzen kommen. Beispiel: Sie gehen zweimal pro Woche je 45 Minuten Schwimmen oder auf den Home-Trainer.
- Oder eine Kombination aus beidem. Beispiel: Sie machen dreimal pro Woche Gartenarbeiten von je einer halben Stunde und gehen eine halbe Stunde auf den Home-Trainer.