Gesunde Herzkranzgefässe sind seine Mission
Lorenz Räbers Spezialgebiet ist die Arteriosklerose. Er weiss, wann diese besonders gefährlich wird, und erforscht, wie man Betroffene vor einem Herzinfarkt schützen kann. Dafür erhält er den Forschungspreis 2023 der Schweizerischen Herzstiftung.
Zum Gespräch kommt Prof. Lorenz Räber direkt aus dem Katheterlabor des Inselspitals in Bern, wo er die meiste Zeit seiner Arbeit verbringt. «Wir haben soeben eine Patientin mit einem Herzinfarkt behandelt», erzählt er. Die Besonderheit bei der 88-jährigen Frau war, dass sich im Innern eines zehn Jahre alten Stents eine neue Arteriosklerose gebildet hatte. Räber musste im bestehenden Stent einen zusätzlichen anbringen, einen Stent im Stent sozusagen. Der Cholesterinspiegel der Patientin sei bedenklich hoch gewesen, fährt er fort. Hätte sie die Cholesterinsenker wie vorgeschrieben eingenommen, wäre es nicht zum Infarkt gekommen. Und schon sind wir bei seinem Spezialgebiet. Lorenz Räber beschäftigt sich als interventioneller Kardiologe intensiv mit den krankhaften Veränderungen der Innenschicht der Herzkranzgefässe. Den Cholesterinansammlungen, Entzündungen und Kalkablagerungen. Und damit, wie man solche Krankheitsprozesse behandelt oder verhindert.
Eingriff mit grosser Wirkung
Arteriosklerose ist einer der Hauptgründe, weshalb die Menschen in unseren Breitengraden sterben. Die Verdickungen und Verhärtungen in den Arterien führen zu Herzinfarkt, Herzschwäche oder zum plötzlichen Herztod, um nur die schlimmsten Folgen fürs Herz zu nennen. Allein in der Schweiz werden jährlich bei über 25 000 Patient*innen verengte Herzkranzgefässe aufgedehnt und mit einem Stent versehen. Die Stentimplantationen dauern kurz und sind minimal invasiv. Dennoch bewirken sie unglaublich viel. Sie bewahren Patient*innen mit einem Infarkt vor dem Tod oder verhindern auf längere Zeit hinaus, dass es so weit kommt. Daher ist Räber von seiner Aufgabe nicht nur überzeugt, sondern geradezu mitgerissen. Und er will die Arbeit weiter verbessern, für sich und alle anderen interventionellen Kardiolog*innen. Neben der Leitung des grössten Herzkatheterlabors der Schweiz forscht er deshalb auf diesem Gebiet.
Genaue Bilder aus den Arterien
«In den letzten Jahren machten die bildgebenden Verfahren grosse Fortschritte», erklärt Räber. Neue Geräte können direkt aus dem Innern der Arterie fast mikroskopisch genaue Bilder liefern. Diese Bilder helfen den Kardiolog*innen bei der Diagnose, Planung und Durchführung des Eingriffs. Sie übermitteln zudem Informationen über die Gefässinnenwand, die man früher nicht hatte. So hat man herausgefunden, dass nicht alle arteriosklerotischen Veränderungen, auch Plaques genannt, gleich gefährlich sind. «Gewisse Plaques machen uns besonders Sorgen», sagt Räber. Grosse Plaques, die mit viel Cholesterin gefüllt sind, entzündliche Zellen und eine dünne Kappe haben, brechen leicht auf und führen zu einem gefährlichen Verschluss. «Solche Hochrisiko-Plaques in den Herzkranzgefässen verursachen mindestens 70 Prozent der Herzinfarkte», sagt Räber, «weshalb wir nach effizienten Wegen suchen müssen, sie zu erkennen und zu entschärfen.»
Hochrisiko-Plaques stabilisieren
Die mit Stents behandelten Stellen sind nur die Spitze des Eisbergs. Daher braucht es zusätzlich Cholesterinsenker, gerade bei Menschen, die bereits ein Ereignis hatten. Sie verhindern nicht nur, dass sich weiter Cholesterin in den Gefässen ablagert. Eine intensive Cholesterinbehandlung mit den neuen PCSK-9-Hemmern stabilisiert weitere Hochrisiko-Plaques, wie Räber anhand von Bildern der Gefässinnenwand von 300 Patient*innen weltweit erstmals aufgezeigt hat. Das Medikament beeinflusst alle wichtigen Risikofaktoren: Es verringert die Grösse der Plaques, den Cholesteringehalt sowie Entzündungszellen und erhöht die Kappendicke. «Dies ist ein klarer Hinweis darauf, wie diese Medikamente wirken und die gefährlichen Plaques stabilisieren», sagt Räber. Für seine Studien hat er den Forschungspreis 2023 der Schweizerischen Herzstiftung erhalten.
Spital statt Hotel
Noch im Gymnasium wollte Räber die Hotelfachschule in Lausanne absolvieren. Später interessierte er sich dann aber für die Medizin und im Speziellen für die Kardiologie. «Letztlich sind dies für mich nicht komplett unterschiedliche Dinge», erklärt er, «weil ich schon immer einen Beruf wollte mit intensivem menschlichem Austausch.» Ein bisschen Hotelfach glaubt er auch in seiner jetzigen Forschungstätigkeit zu finden: Neben dem Kontakt mit Patient*innen benötigt erfolgreiche klinische Forschung eine internationale Ausrichtung. Dies bedeutet für ihn einerseits viel Koordination zwischen Spitälern und Universitäten auf der ganzen Welt. Andererseits kommen zahlreiche talentierte junge Forscher*innen aus dem Ausland in sein Forschungsteam nach Bern. Er schätzt den Austausch über die Grenzen hinweg. Nur so, sagt Räber, könne man in der Forschung einen Spitzenplatz einnehmen.